Die dritte und finale Staffel von Squid Game ist seit Ende Juni auf Netflix zu sehen. Als die international erfolgreiche Netflix-Produktion vor vier Jahren zum ersten Mal auf den Bildschirmen flimmerte, wurden vermehrt gewalthaltige Nachahmungen der Serie unter Kindern und Jugendlichen beobachtet. Auch die Folgestaffel animierte Heranwachsende dazu, sich an den medialen Figuren zu orientieren. So gab es bereits einen Polizeieinsatz wegen Jugendlicher in Squid-Game-Kleidung, die in der Öffentlichkeit mit Waffen hantierten. Auch wenn sich die Waffen als Spielzeuge herausstellten, hatte die Aktion brisante Folgen: Gegen die Teenager wurde ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz eingeleitet. In der südkoreanischen Serie werden Kinderspiele gespielt, die zu Teilen auch in Deutschland bekannt und unter Kindern beliebt sind. Die Serie selbst ist aber nicht für Heranwachsende geeignet, wie auch der Macher Hwang Dong-hyuk betont. Dennoch kommen auch Jüngere über verschiedene Kanäle wie Social Media oder ältere Geschwister mit den Medieninhalten in Kontakt, was Eltern und Fachkräfte aufgrund der gewalthaltigen Inhalte besorgt. Die Handreichung soll einen Einblick in die Serie geben und den pädagogisch sinnvollen Umgang mit Gewalt in Medien anregen.
Worum geht es?
In der ersten Staffel von Squid Game lässt sich eine Gruppe hochverschuldeter Protagonist*innen auf eine Reihe Kinderspiele um Leben und Tod ein. Wer alle Spiele gewinnt, erhält ein sehr hohes Preisgeld. Wer verliert, wird erschossen. Die Spielleitung übernimmt der sogenannte Frontmann, der in einem schwarzen Kapuzenanzug und einer dunklen Maske auftritt. Die weiteren Beschäftigten tragen pinke Kapuzenoveralls und verbergen ihre Identität ebenfalls hinter schwarzen Masken. Dem Wettkampf der verzweifelten Spielenden schauen einige Schwerreiche mit dekadent geschmückten Masken aus dem Verborgenen zu. Sie sind die Finanziers der Spiele und ergötzen sich am Leid der Spielenden.
Der Gewinner und einzige Überlebende der ersten Staffel kehrte in der zweiten Staffel mit dem Ziel zurück, das sich jährlich wiederholende Spiel zu boykottieren. Inwiefern der Versuch gelingt, ist in der dritten Staffel zu sehen. Alle drei Staffeln begleiten den Hauptprotagonisten, wie er sich durch verschiedene Kinderspiele schlägt. Dabei kommt es zu diversen verbal sowie körperlich zugespitzten Auseinandersetzungen zwischen den Charakteren sowie zahlreichen blutig inszenierten Tötungsszenen. Die Darstellung von expliziter Gewalt dient in der Serie nicht nur dem Selbstzweck. Als provokantes Stilmittel hält sie der modernen Gesellschaft den Spiegel vor: Squid Game übt scharfe Kritik am Kapitalismus, in dem die Superreichen ihre Macht systemisch missbrauchen und wo mittellose Menschen an den sozialen Rand und zu extremen Maßnahmen getrieben werden.
Faszination Squid Game
Filme und Spiele mit einem vergleichbaren ‚Last (wo)man standing‘-Prinzip sind nichts Neues. Solche Konstellationen gibt es bei den „Hunger Games“ der „Tribute von Panem“ oder im Onlinespiel „Fortnite“. Hier wird der Wettbewerbsgedanke in ähnlicher Form geprägt. Viele Jugendliche sind mit derartigen Mechanismen auch in Onlinechallenges vertraut.
Außerdem bieten die farbenfrohen Settings und von Kinderspielen geprägten Szenen Anknüpfungspotenzial. Die Serie weckt so das Interesse verschiedener Altersgruppen und dient als Gesprächsanlass auf dem Schulweg oder als Spielvorlage auf Pausenhöfen und in der Freizeit. Schon daher besteht ein großes Interesse der Kinder und Jugendlichen, dabei mitreden zu können. Ein Ansehen der Serie auf Netflix ist dazu gar nicht nötig. Durch crossmediale Verbreitungsstrategien werden Memes, Tänze, Nachahmungen, Kostüme und Songs auch auf anderen Plattformen geteilt. Sie finden sich auf Imageboards, in Messengergruppen, auf Pinterest, TikTok, Instagram oder in Computerspielen wieder und erreichen so eine große Zielgruppe über jugendaffine Kanäle. Aufgrund des großen Erfolgs von Squid Game gibt es auch mediale Nachahmungen wie in der Serie Beast Games. Hier gibt es keine körperliche Gewalt, jedoch versammeln sich hier ebenfalls viele Menschen, die eine Reihe von psychisch zermürbenden Spielen um ein horrendes Preisgeld durchlaufen.
Altersfreigabe
Netflix hat die Serie ab 16 Jahren freigegeben, obwohl schon bei der ersten Staffel vermehrt Rufe nach einer Alterseinstufung ab 18 Jahren oder einer Indizierung laut wurden. Dabei ist die aktuelle Bewertung potenzieller Beeinträchtigungs- oderGefährdungspotenziale folgerichtig: Jugendliche ab dem 16. Lebensjahr können in der Regel einschätzen, dass es sich bei den gezeigten Inhalten um fiktive Darstellungen handelt, die mit Schauspieler*innen sowie mit Trick- und Montagetechnik umgesetzt wurden. Sie sollten in der Lage sein, die Serie an ihrer Lebensrealität und gesellschaftlichen Normen und Werten abzugleichen und so die starke Überzeichnung und drastische Gewaltdarstellung als filmische Mittel einzuordnen.
Medienwirkung
Die düster-dystopische Serie entfaltet auf jüngere Kinder ohne ausreichende Genreerfahrung mitunter eine übermäßig angsteinflößende, abstumpfende oder desensibilisierende Wirkung.
In Einzelfällen und bei besonders gefährdungsgeneigten Kindern und Jugendlichen treten bisweilen desorientierende oder überfordernde Effekte auf, die sogar dazu führen, dass Inhalte in eigene Handlungsmuster übertragen werden.
Die Wirkung von medialer Gewalt hängt dabei stets von mehreren Faktoren ab: Traumatische Vorerfahrungen, familiäre Belastungen oder mangelnde Medienkompetenz begünstigen eine fehlerhafte Einordnung medialer Reize.
Gleichzeitig können Medieneinflüsse kurzzeitig auch aufbrausend und impulsgebend wirken, wie sich in vereinzelten gewalthaltigen Nachahmungen von Squid-Game-Spielen unter Heranwachsenden zeigt.
Gewaltspiele im Kinderzimmer
Nicht erst seit Squid Game setzen sich Heranwachsende auch spielerisch mit medial rezipierter Gewalt auseinander und bereiten das Gesehene im Gespräch, (Rollen-)Spiel, Zeichnungen, Memes, Tänzen, Liedern o.ä. auf: Schach, Zwei-Felder-Ball oder Räuber und Gendarm zeugen davon. Neben der aktiven Verarbeitung können Spiele bestenfalls sogar empathiefördernd wirken, wenn ein Verlieren im Spiel zeigt, wie es sich anfühlt, bezwungen zu werden oder eine Niederlage einzustecken. Spiele sind auch eine Form des Abgleiches von fiktiven Elementen mit der realen Lebenswelt. Und natürlich sind Medienangebote und Filme – bei all ihrer möglichen Überzeichnung – auch Spiegel gesellschaftlicher Realitäten. In einer Welt, die auch von Krisen, Krieg, Gewalt, Wettbewerb, Verwertungszwängen, Profit-Logik und Ellenbogengesellschaften geprägt ist, wäre eine ‚rosarote Wattewelt‘ in den Medien ein romantisiertes Trugbild. Andererseits sollte die Auseinandersetzung mit solchen Phänomenen altersgerecht geschehen. Zurecht hat Netflix die Serie daher ab 16 Jahren freigegeben.
Was können Eltern und Fachkräfte tun?
- Im Gespräch bleiben:
Natürlich ist Squid Game kein pädagogisches Filmmaterial. Aber die Serie bietet Anlässe, sich im Gespräch mit Jugendlichen über das Gesehene auszutauschen und zu hinterfragen, was dort passiert und wie es moralisch einzuschätzen ist. - Spielen der Kinder beobachten:
Auch ein Nachspielen sollte im Dialog mit den Heranwachsenden reflektiert werden. Dafür ist es wichtig, dass Eltern und Pädagog*innen das Spielen (insbesondere jüngerer Kinder) beobachten. In jedem Fall ist einzuschreiten, wenn Spiele gewalttätig ausgetragen werden und anderen Spieler*innen psychischer oder physischer Schaden zugefügt wird. - Jugendschutzeinstellungen nutzen:
Mit der Serie selbst sollten Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren nicht in Berührung kommen. Alterskennzeichen helfen, die entsprechenden Sicherheitseinstellungen vorzunehmen. Auf der Webseite Medien kindersicher werden die Jugendschutzeinstellungen für Netflix erläutert. - Medienkompetenz fördern:
Reine Verbote reichen hinsichtlich der hohen Verfügbarkeit von Medienangeboten nicht aus. Weil junge Menschen auch über andere Wege mit der Serie in Berührung kommen, sollten Erwachsene die Motive kennen und über aktuelle Medientrends Bescheid wissen. Dies qualifiziert Eltern und Fachkräfte als adäquate Gesprächspartner*innen, die Sorgen und Nöte ernstzunehmen. Wichtig ist es, einen kompetenten Umgang mit Medien zu fördern. Heranwachsende müssen den manipulativen und artifiziellen Charakter von Medien erkennen und lernen, diesen anhand gesellschaftlicher Grundwerte des Zusammenlebens abzugleichen. Medienpädagogische Angebote helfen Heranwachsenden, Medien zu bewerten, geeignete Angebote zu erkennen und Verantwortung für das eigene Handeln in und mit digitalen Medien zu übernehmen. Projekte für Heranwachsende, Informationen für Eltern und Fortbildungen für Fachkräfte finden Sie unter www.servicestelle-jugendschutz.de
Alle wichtigen Informationen finden Sie in kompakter Form in unserer Handreichung.
Diese wird finanziert durch das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung Sachsen-Anhalt.

