Die „Bitch Bibel“ aus Jugendschutzperspektive

Seit 2014 betreibt Katja Krasavice einen YouTube-Kanal, in dem sie freizügig und lasziv über vorrangig sexuell konnotierte Themen plaudert. Dieser ist allerdings derzeit aufgrund eben dieser Freizügigkeit von YouTube gesperrt. Seit Ende 2017 produziert sie darüber hinaus erfolgreich Musikvideos mit Songnamen wie „SexTape“, „Doggy“ oder „Dicke Lippen“. Katja Krasavice ist schon bei jüngeren Kindern beliebt und erreicht in Social-Media-Kanälen wie YouTube, Instagram und TikTok ein Millionenpublikum.
Auch in vielen Bildungsprojekten, die die Servicestelle Kinder- und Jugendschutz in Sachsen-Anhalt durchführt, wird sie immer wieder als eine beliebte YouTuberin genannt. Lehrkräfte und Schulsozialarbeit berichten davon, dass ihre Lieder auf dem Schulhof gesungen werden und die provokativen Fotos und Videos regelmäßig Gesprächsthema sind. Gerade auch jüngere Kinder im Grundschulalter konsumieren Katja Krasavices Inhalte – ihre Videos erreichen inzwischen mehrere Millionen Aufrufe.

Und der Erfolg ebbt nicht ab. Ihr aktuelles Album „Bo$$ Bitch“ hat es Anfang 2020 sogar auf Platz 1 der deutschen Album Charts geschafft, eine Live-Tour im März 2020 folgte.
Wegen der Corona-Pandemie musste diese allerdings unterbrochen werden und Katja Krasavice hatte – wie sie erklärt – endlich Zeit, ihr erstes Buch zu schreiben. Im Juni 2020 wurde die „Bitch Bibel“ veröffentlicht, die schnell in den aktuellen Bestseller-Listen landete. Katja Krasavice selbst kündigt das Buch auf ihrem YouTube-Kanal als „Pornografie in Schriftform“ an und ruft alle Fans auf, sich das Buch schnell zu sichern, bevor es vergriffen ist.

Auf gut 200 Seiten beschreibt Katja Krasavice ihre teils schwere Kindheit. Unterteilt in so genannte 10 Gebote geht sie auf ihre Schulzeit ein, in der sie aufgrund ihrer auffälligen Erscheinung stark gemobbt wird und beschreibt die Vorfälle um ihren Vater, der ihre Freundinnen sexuell missbrauchte. Sie geht auf den Tod ihrer beiden Brüder und ihre stets enge Bindung zur Mutter ein.
Gepaart sind die Schilderungen mit vielen selbstwertschätzenden Aussagen. „Sei du selbst!“, „Du kannst alles erreichen, wenn du willst!“ oder „Tu, was dich glücklich macht und nicht was andere sagen!“ finden sich an vielen Stellen im Buch und sollen dabei auch helfen, gesellschaftliche Normen aufzubrechen.

Parallel beschreibt Katja Krasavice ihre schon früh erkannte extrovertierte Neigung und ihre selbst diagnostizierte Sexsucht, die sie dazu veranlasst mit möglichst vielen Jungen und Männern sexuelle Beziehungen einzugehen. Die Freizügigkeit, die bereits aus ihren Fotos und Videos bekannt ist, spiegelt sich so auch im Buch wieder. Im Mittelteil der „Bitch Bibel“ finden sich ergänzend dazu Fotos aus ihrem früheren und heutigen Leben.

Ein dritter Themenbereich, der im Buch immer wieder aufgegriffen wird, ist ihre Karriere in der YouTube- und später Musikbranche. Katja Krasavice beschreibt die ersten Bemühungen um Klicks und Abonnements, erklärt, wie sie mit ihren Kanälen Geld verdient und was sie sich damit leisten kann. Dabei muten ihre Beschreibungen mitunter wie ein Rachefeldzug an, denn nicht selten bringt sie ihre Schadenfreude gegenüber früheren Skeptiker*innen und Hater*innen zum Ausdruck.

Das ASMR-Ankündigungsvideo zum Buch „verspricht“ viele „perverse Geschichten“ und auch die Titel der einzelnen Kapitel, die so genannten zehn Gebote, sollen erahnen lassen, welch laszive und freizügige Inhalte die Leser*in erwartet. So heißt das 7. Gebot: „Wie, wann und wo ich es treibe“. Diese Art der reißerischen Ankündigung zum Buch ist auch generell Merkmal vieler Videos auf YouTube und Co. Mit möglichst wirkungsmächtigen Titeln und Thumbnails (Vorschaubildchen) versuchen die Kanalbetreiber*innen die Aufmerksamkeit ihrer Abonnent*innen zu erhalten und sie zum Konsumieren des Inhalts zu bewegen – Clickbaiting heißt dieses Sammeln von Klicks im Internet.

Im Buch selbst sind einige Passagen auszumachen, die eindeutig nicht für Kinder unter 16 Jahren geeignet sind. Hier beschreibt Katja Krasavice recht ausführlich einige sexuelle Erlebnisse und Praktiken, die durchaus in der Lage sind, die Entwicklung von Heranwachsenden nachhaltig zu beeinträchtigen und ihnen ein nicht realistisches Bild von Sexualität zu vermitteln. Auch einige Fotos im Buch bewegen sich an der Grenze zu pornografischen Inhalten. Etwas, das Katja Krasavice inzwischen nur all zu gut beherrscht: Denn nach anfänglichem Ärger mit den Plattformbetreiber*innen (ihr erster YouTube-Kanal ist beispielsweise seit Jahren gesperrt, s.o.), bewegen sich inzwischen viele ihrer Posts und Videos stark an der Grenze des Erlaubten. So ist ihr YouTube-Video zur Vorstellung des Buches inzwischen zwar nicht mehr uneingeschränkt zugänglich, allerdings weist lediglich eine am Anfang eingeblendete Tafel darauf hin, dass das Video für einige Nutzer*innen unangemessen sein könnte.
Andere Videos auf dem Musikkanal von Katja Krasavice sind nicht eingeschränkt. Die sich lasziv auf einem Bett räkelnde Katja, die darum bittet „doggy“ genommen zu werden, weil sie gern Sex hat, ist entsprechend für alle Altersstufen frei rezipierbar. Insofern ist die „Bitch Bibel“ zu Teilen lediglich ein analoges Abbild des digitalen Auftretens von Katja Krasavice. Davon ausgehend, dass die Zielgruppe des Buches auch alle internetbasierten Inhalte der YouTuberin kennt, ist das Buch für die jungen Leser*innen nichts Neues oder Aufregendes mehr.

Die „Bitch Bibel“ wirkt zu großen Teilen sehr authentisch und lässt hinter die Kunstfigur Katja Krasavice blicken. Mit vielen wertschätzenden und sogar tiefgründigen Aussagen avanciert es zu einem guten Lebensratgeber.
All zu oft widerspricht sich Frau Krasavice jedoch in ihren Aussagen. So beteuert sie stets ihre Authentizität, erklärt aber gleichzeitig, dass sie einige Situationen bewusst beeinflusst, um viele Klicks und Aufmerksamkeit zu generieren und Geld zu verdienen.

Aufgrund der oben aufgeführten grenzwertigen Passagen ist das Buch geeignet für Erwachsene. Kinder und junge Jugendliche sind noch nicht in der Lage, die Aussagen im Buch einzuschätzen, zu reflektieren und im Kontext zu betrachten. Auch die selbstreflektierenden Aussagen und der propagierte Lebensstil müssen an der ein oder anderen Stelle durchaus kritisch betrachtet und hinterfragt werden. Hierzu sind Kinder im Alter von 12 Jahren beispielsweise noch nicht in der Lage. Jüngere Zielgruppen könnten darüber hinaus wertvolle Aussagen überlesen und falsch deuten. Stattdessen könnten die eher oberflächlichen Beschreibungen wirkmächtiger sein und zur Nachahmung einladen.

Hier finden Sie unsere Buchrezension noch einmal zum Download.