Squid Game – gefährlicher Hype oder viel Lärm um nichts?

Squid Game verunsichert zahlreiche Eltern und pädagogische Fachkräfte, da auch Kinder und jüngere Jugendliche mit der Serie in Kontakt kommen und gewalttätige Elemente daraus nachspielen. Squid Game ist der bislang erfolgreichste Serienstart des Streaminganbieters Netflix. In der Serie lassen sich 456 hochverschuldete Protagonist*innen auf ein gefährliches Spiel ein, um ihrer finanziellen Not zu entkommen. Dabei spielen sie in Kinderspielen nicht nur um ein hohes Preisgeld, sondern im wahrsten Sinne des Wortes um ihr Leben. Denn wer verliert oder ausscheidet, wird grausam ermordet. Im ersten Spiel beispielsweise muss ein Raum innerhalb weniger Minuten durchquert werden, während eine riesige Puppe „Rotes Licht, grünes Licht“ singt. Dreht sich die Puppe dem Spielfeld zu, werden alle, die sich noch bewegen oder die Strecke in der vorgegebenen Zeit nicht schaffen, erschossen. In einem weiteren Spiel treten die Teilnehmer*innen im Tauziehen gegeneinander an. Dabei befinden sie sich in schwindelerregender Höhe. Wird das gegnerische Team über die Plattformkante gezogen, stürzt es in den Tod. In der Serie sind zahlreiche drastische Tötungsszenen detailliert und blutig dargestellt.

Wirkungsvermutung

Auf jüngere Kinder, mit nicht hinreichender Genrekenntnis für die düster-dystopische Serie, könnte der Inhalt übermäßig angsterzeugend wirken. Auch die hohe Zahl getöteter Menschen kann desensibilisierend und abstumpfend wirken. In Einzelfällen und bei gefährdungsgeneigten Kindern und Jugendlichen könnte die Serie desorientierend und überfordernd wirken und dazu beitragen, dass Heranwachsende Inhalte in Handlungsmuster und Lebensentwürfe übertragen.
Allerdings gibt es hinsichtlich der Medienwirkung kaum Belege für vereinfachte und monokausale Wirkzusammenhänge. Bereits in der Debatte um die Amok-Taten in Winnenden und Erfurt wurden Vermutungen laut, dass das Spiel Counterstrike ‚schuld‘ an den Verbrechen wäre. Diese Wirkungsvermutung lässt sich jedoch kaum aufrechterhalten, ohne dabei Schieflagen in Elternhaus und Freundeskreis einzubeziehen, jahrelange Mobbingerfahrungen mitzudenken oder auch allgemein die psychische Verfasstheit zu berücksichtigen. Nichtsdestotrotz können Medieneinflüsse natürlich kurzzeitig aufpeitschend und impulsgebend wirken. Das zeigen auch die vereinzelten Fälle, in denen die Spiele aus Squid Game gewalttätig nachempfunden werden.

Jugendaffinität

Filme und Spiele mit einem vergleichbaren ‚Last (wo)man standing‘-Prinzip sind nichts Neues; ähnliche Konstellationen gibt es bei den „Hunger Games“ der „Tribute von Panem“ oder etwa im Onlinespiel „Fortnite“. Hier wird der Wettbewerbsgedanke in ähnlicher Form geprägt. Viele Jugendliche sind mit derartigen Mechanismen auch in Onlinechallenges vertraut. In der drastischen Gewaltdarstellung und dem spielerischen Charakter finden sich auch Anleihen in der Filmreihe „Saw“. So stellt sich auch in Squid Game ein mysteriöser Fremder dem Hauptprotagonisten mit dem Satz „Ich möchte ein Spiel mit Ihnen spielen“ vor.
Unbenommen der vielfältigen Vorlagen oder vergleichbaren Formate hat sich die koreanische Popkultur längst auch Zielgruppen in Deutschland erschlossen. K-Pop (koreanische Popmusik), Manga und Cosplay erfreuen sich derzeit großer Beliebtheit. Diese Elemente der asiatischen Popkultur sind zweifelsfrei auch Teil des Erfolgs der Serie Squid Game. In Figurenzeichnung, Mode, Rollenverständnissen und verschiedensten Codes finden sich Parallelen, die der Medienrezeption junger Menschen entsprechen und die Serie interessant machen. Auch die farbenfrohen und von Kinderspielen geprägten Szenen bieten Anknüpfungspotenzial. Die Serie weckt so das Interesse verschiedener Altersgruppen und dient als Gesprächsanlass auf dem Schulweg oder als Spielvorlage auf Pausenhöfen und in der Freizeit. Schon daher besteht ein großes Interesse der Kinder und Jugendlichen, dabei mitreden zu können. Ein Ansehen der Serie auf Netflix ist dazu gar nicht nötig. Durch crossmediale Verbreitungsstrategien werden Memes, Tänze, Nachahmungen, Kostüme und Songs auch auf anderen Plattformen geteilt. Sie finden sich auf Imageboards, TikTok, in Messengergruppen, auf Pinterest oder Instagram und und erreichen somit eine große Zielgruppe über jugendaffine Kanäle. Eine gute Einschätzung der Serie durch junge Menschen gibt es auf der Webseite von Juuuport: www.juuuport.de/magazin/news/aktuelle-meldungen/newsdetail/heisses-eisen-was-unsere-scouts-zum-netflix-hit-squid-game-sagen

Altersfreigabe

Aufgrund möglicher Gefährdungen durch die Serie werden vermehrt Rufe nach Verboten und restriktiven Maßnahmen laut. So gibt es Forderungen nach einem Indizierungsverfahren oder einer Altersfreigabe der Serie ab 18 Jahren. Dabei ist die aktuelle Bewertung potenzieller Beeinträchtigungs- oder Gefährdungspotenziale folgerichtig: Es ist davon auszugehen, dass Jugendliche ab dem 16. Lebensjahr in der Regel einschätzen können, dass es sich um fiktive Darstellungen mit Schauspieler*innen, Trick- und Montagetechnik handelt. Sie sollten in der Lage sein, den Film an ihrer Lebensrealität und gesellschaftlichen Normen und Werten abzugleichen und so die starke Überzeichnung und drastische Gewaltdarstellung als filmische Mittel einzuordnen.
Altersfreigaben für Filme sind hier einzusehen:
Kino: www.fsk.de / Fernsehen: www.fsf.de
Einen pädagogischen Ratgeber für Filme gibt es unter: www.flimmo.de

Medieninhalte in Kinderspielen

Nicht erst seit Squid Game setzen sich Heranwachsende auch spielerisch mit medial rezipierter Gewalt auseinander und bereiten das Gesehene im Gespräch, (Rollen-)Spiel, Zeichnungen, Memes, Tänzen, Liedern o.ä. auf: Schach, Zwei-Felder-Ball oder Räuber und Gendarm zeugen davon. Neben der aktiven Verarbeitung können Spiele bestenfalls sogar empathiefördernd wirken, wenn eine Niederlage im Spiel zeigt, wie es sich anfühlt bezwungen zu werden oder eine Niederlage einzustecken.
Spiele sind auch eine Form des Abgleiches von fiktiven Elementen mit der realen Lebenswelt. Und natürlich sind Medienangebote und Filme – bei all ihrer möglichen Überzeichnung – auch Spiegel gesellschaftlicher Realitäten. In einer Welt die auch von Krisen, Krieg, Gewalt, Wettbewerb, Verwertungszwänge, Profit-Logik und Ellenbogengesellschaften geprägt ist, wäre eine ‚rosarote Wattewelt‘ in den Medien auch ein romantisiertes Trugbild. Andererseits sollte die Auseinandersetzung mit solchen Phänomenen altersgerecht geschehen. Zurecht hat Netflix die Serie daher ab 16 Jahren freigegeben.

 

 

Was Fachkräfte und Eltern tun können

Im Gespräch bleiben: Natürlich ist Squid Game kein pädagogisches Filmmaterial. Aber die Serie bietet Anlässe, sich im Gespräch mit Jugendlichen über das Gesehene auszutauschen und zu hinterfragen, was dort passiert und wie es moralisch einzuschätzen ist.

Spielen der Kinder beobachten: Auch das Nachspielen kann für solche Gespräche genutzt werden. Daher sollten Spiele (insbesondere jüngerer Kinder) durch Eltern und Pädagog*innen genau beobachtet und Gespräche mit den Heranwachsenden gesucht reden. In jedem Fall ist einzuschreiten, wenn Spiele gewalttätig ausgetragen werden und anderen Spieler*innen psychischer oder physischer Schaden zugefügt wird.

Jugendschutzeinstellungen nutzen: Mit der Serie selbst sollten Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren nicht in Berührung kommen. Eltern sollten die Alterskennzeichen kennen und entsprechende Sicherheitseinstellungen vornehmen. Auf der Webseite „Medien kindersicher“ werden die Jugendschutzeinstellungen für Netflix erläutert: www.medien-kindersicher.de/entertainment/netflix-kindersicher

Medienkompetenz fördern: Reine Verbote reichen allerdings hinsichtlich der hohen Verfügbarkeit von Medienangeboten nicht aus. Weil junge Menschen auch über andere Wege mit der Serie in Berührung kommen, sollten Erwachsene die Motive kennen und über aktuelle Medientrends Bescheid wissen. Dies qualifiziert Eltern und Fachkräfte als adäquate Gesprächspartner*innen, die Sorgen und Nöte ernst nehmen. Wichtig ist es, einen kompetenten Umgang mit Medien zu fördern. Kinder und Jugendliche sollen den manipulativen und artifiziellen Charakter von Medien erkennen und lernen, diesen anhand gesellschaftlicher Grundwerte des Zusammenlebens abzugleichen. Medienpädagogische Angebote können Kindern und Jugendlichen helfen, Medien zu bewerten, geeignete Angebote zu erkennen und Verantwortung für das eigene Handeln in und mit digitalen Medien zu übernehmen.
Pädagog*innen und Eltern sollten sich selbst zu Medienfragen informieren, fortbilden und im Zweifel Rat und Unterstützung bei Expert*innen suchen. Projekte für Heranwachsende und Fortbildungen für Fachkräfte finden Sie unter www.servicestelle-jugendschutz.de.

Stand: 10.11.2021 | Autor: Jörg Kratzsch

 

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