BeReal und TikTok now – für mehr Realität im Netz?

Kostenlose Fotos zum Thema Selfie

„Not another social network“ (Deutsch: „kein weiteres soziales Netzwerk“): so beschreibt sich die Anwendung „BeReal“ im Appstore. Kein weiteres soziales Netzwerk wie die beliebten Plattformen TikTok und Instagram, die mithilfe von unzähligen Filtern und externen Bild- und Videobearbeitungsapps den Nutzer*innern die Möglichkeit geben, sich so darzustellen, wie sie möchten. Dass das in den meisten Fällen nicht der Realität entspricht, störte scheinbar auch die BeReal-Entwickler Alexis Barreyat und Kevin Perreau. Mit BeReal sollen die gängigen Social-Media-Angebote nun mit einer App ergänzt werden, die den User*innen keine Bearbeitungstools bereitstellt und damit „echte“, ungeschönte Fotos hervorbringen soll.

Nutzer*innen können demnach selbst Fotos auf der Plattform hochladen sowie die Inhalte anderer User*innen anschauen und darauf reagieren. Der Haken dabei: Um den Content (Deutsch: „Inhalt“) anderer Personen sehen zu können, muss ich selbst zuvor ein Foto gepostet haben. Danach erst kann ich die App im vollen Umfang nutzen.
Auf BeReal habe ich die Wahl, ob ich nur die Fotos von meinen Follower*innen oder auch öffentlich geteilte Inhalte aller ansehen möchte. Infolgedessen muss auch ich beim Posten eigener Fotos festlegen, ob diese nur für Follower*innen oder für alle anderen Nutzer*innen der App sichtbar sein sollen. Zudem kann ich entscheiden, ob das Foto mit einer Standortangabe versehen werden darf.
Ein Mal täglich bekommen alle BeReal-User*innen eine Benachrichtigung, in den nächsten zwei Minuten ein Foto aufzunehmen. Dafür wird die Front- wie auch die Innenkamera des Smartphones ausgelöst. Es entsteht ein „spontanes“ Foto, das meine Umgebung sowie mich als Fotograf*in zeigt. Bin ich nicht in der Lage, im vorgegebenen Zeitrahmen ein Bild zu posten, wird mein Foto als „late“ (Deutsch: „spät“) markiert.
Das Mindestalter für BeReal liegt bei 13 Jahren, wie auch in anderen sozialen Netzwerken wird die Altersangabe jedoch nicht kontrolliert.

Während BeReal sich als ein neues fotobasiertes soziales Netzwerk etabliert hat, ist „TikTok now“ nur ein ergänzendes Tool innerhalb der bereits bestehenden Video-Plattform „TikTok“ (redaktionelle Anmerkung: Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrages war TikTok now nur eine Anwendung innerhalb der TikTok-App. Nun ist dies nicht mehr der Fall und TikTok now kann als eigenständige App im Store heruntergeladen werden.). TikTok now weist starke Parallelen zu BeReal auf und arbeitet grundlegend mit den gleichen Funktionen. Dazu zählt die tägliche Benachrichtigung, der festgelegte Zeitrahmen, in dem die Aufnahmen gemacht werden müssen, die Nutzung von Front- und Innenkamera und die fehlende Möglichkeit zur Nachbearbeitung. Die einzigen Unterschiede zu BeReal bestehen darin, dass bei TikTok now neben Fotos auch Videos gepostet werden können, eine Angabe des Standorts nicht möglich ist und die Inhalte gelikt sowie kommentiert werden können. TikTok now erinnert somit an die „Reels“ auf Instagram oder die „Shorts“ auf YouTube, die sich gleichermaßen an den beliebten Kurzvideos von TikTok orientiert haben und ihren Nutzer*innen wiederum ähnliche Möglichkeiten zur Verfügung stellen sollten.

Mehr Realität… oder mehr Druck?

Das Konzept von BeReal erscheint einleuchtend, insbesondere in Anbetracht der vorherrschenden Schönheitsideale auf gängigen sozialen Netzwerken wie Instagram und TikTok. Nicht selten wurden die präsentierten Körper der Influencer*innen vorab mit viel Zeitaufwand bearbeitet oder Gesichtszüge in Videos mit Echtzeitfiltern verändert.

Auf BeReal hingegen kann ich meine Fotos nicht längerfristig planen, mir keine besonders schöne Location aussuchen, eine passende Pose überlegen oder im Nachgang noch mal schnell retuschieren, was mir nicht passt. Resultat sind diverse Momentaufnahmen der User*innen, die einen Teil ihrer Lebensrealität abbilden sollen. Vor allem Heranwachsende nutzen solche Inhalte auf sozialen Netzwerken, um Orientierung in der Welt zu finden und die eigene Identität herauszubilden. Während junge Menschen auf Instagram meist auf unerreichbare Schönheitsideale und perfekt inszenierte Lebensentwürfe treffen, könnte BeReal diese unrealistischen Vorstellungen durchbrechen sowie Heranwachsende selbst dazu anregen, unbearbeitete Inhalte zu veröffentlichen.

Während ich allerdings auf Instagram die Wahl habe, entweder nur Konsument*in oder auch Produzent*in zu sein, muss ich für die Nutzung von BeReal selbst Inhalte veröffentlichen. Mit der täglichen Aufforderung zum Posten übt BeReal zudem Druck auf die Nutzer*innen aus. Soll das eigene Foto nicht mit „late“ markiert werden, bin ich gezwungen, in den vorgegebenen zwei Minuten eine Aufnahme zu machen, auch wenn ich vielleicht gerade aus der Dusche komme, auf der Toilette sitze oder im Bett liege. Dies kann insbesondere Heranwachsende dazu verleiten, auch private und intime Momente für andere zugänglich zu machen. Zwar können BeReals im Nachgang gelöscht werden, wer mein Foto aber bis dahin gesehen hat, konnte auch einen Screenshot davon machen.
Die Möglichkeit der Standortangabe und des Veröffentlichens von Fotos für alle Nutzer*innen der App birgt für junge Menschen die Gefahr, unreflektiert private Daten preiszugeben. Kontaktrisiken, wie sie auf Instagram oder TikTok vorkommen, sind in diesem Zusammenhang jedoch stark eingeschränkt, da BeReal keine Chat- oder Kommentarfunktion bereitstellt, außer bei Freunden.

Tipps für Eltern und Fachkräfte

BeReal verzeichnet aktuell einen Anstieg an Nutzer*innen und kann somit auch für junge Menschen interessant werden. Für Eltern wie auch für Fachkräfte gilt deshalb, im offenen Austausch mit Heranwachsenden zu bleiben und ohne erhobenen Zeigefinger nachzufragen, welche sozialen Netzwerke aktuell genutzt und gemocht werden. In diesem Rahmen können auch rezipierte Schönheitsideale oder geschönte Lebensentwürfe thematisiert und reflektiert werden.
Wenn das Kind oder der*die Jugendliche BeReal benutzen möchte, sollte darauf geachtet werden, dass das erforderliche Mindestalter von 13 Jahren erreicht ist. Zu empfehlen ist auch, dass die eigenen Fotos nur für Follower*innen sichtbar gemacht werden und die Standortfreigabe deaktiviert ist, um private Daten zu schützen. Gemeinsam mit den jungen Menschen kann besprochen werden, wo die Grenzen der eigenen Intimsphäre liegen und welche Inhalte nicht für das Internet und somit auch nicht für die Augen anderer bestimmt sind.
Das Zeitlimit zum Aufnehmen von Fotos kann Heranwachsende unter Zugzwang setzen, allerdings wird beim Betrachten der Inhalte anderer Nutzer*innen deutlich, dass die meisten BeReal-User*innen verspätete Aufnahmen hochladen, die mit „late“ markiert sind. Dies macht erkennbar, dass insbesondere in intimen oder anderweitig unpassenden Situationen lieber auf einen besseren Moment für eine Aufnahme gewartet werden sollte.

Ähnliches gilt für TikTok now. Da es im Gegensatz zu BeReal aber nur eine Funktion innerhalb von TikTok ist, können in diesem Fall generelle Schutzmaßnahmen zum Umgang mit TikTok in Betracht gezogen werden. Mehr dazu lesen Sie hier.