Nachschlag zum Fachtag „Wird alles immer schlimmer? Aktuelle Entwicklungen der Jugendgewalt“

Die Frage „Wird alles immer schlimmer?“ stellten sich die Teilnehmenden des Fachtages am 23.11.2023 in Aschersleben und versuchten diese aus ihrer fachlichen Perspektive zu beantworten.

Prof. Dr. Frank Asbrock, Inhaber der Professur für Sozialpsychologie der Technischen Universität Chemnitz, kam in seinem anschaulichen Vortrag zu dem Fazit, dass die Jugendgewalt 2022 in Sachsen-Anhalt gegenüber dem Vorjahr durchaus zugenommen hat. Jedoch müssen die Zahlen in verschiedene statistische Kontexte eingebettet und entsprechend analysiert werden. Die jährliche Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) erhebt ausschließlich strafrechtlich angezeigte Fallzahlen. Die Statistik gibt beispielsweise keine Auskunft darüber, wie viele der angezeigten mutmaßlichen Straftaten im Laufe der Ermittlungen eingestellt werden. Des Weiteren konstituiert er, dass die Gewaltkriminalität nur einen kleinen Teil der Jugendkriminalität ausmacht und dass in der PKS 2022 eine deutliche Abnahme der Fallzahlen in der Gruppe der jungen Heranwachsenden zwischen 18 und 21 Jahren zu verzeichnen ist. Der Vergleich der Anzahl polizeilich erfasster tatverdächtiger Jugendlichen (14 bis 17 Jahre) in Deutschland von 2002 bis 2022 bestätigt weiterhin rückläufige Fallzahlen.

Im Rahmen seines aktuellen Forschungsvorhabens wird in der Bevölkerung eine stetige Steigerung der Jugendkriminalität wahrgenommen, die jedoch nicht mit den tatsächlichen Fallzahlen übereinstimmt. Corona-Pandemie, Klimakrise, Krieg in der Ukraine und im Gazastreifen, Inflation, Energiekrise – die täglichen Nachrichten und spürbaren persönlichen Folgen schüren Ängste und Unsicherheiten in der Bevölkerung, die dazu führen, dass neben einem gestiegenen Anzeigeverhalten in der Bevölkerung auch eine verstärkte Zunahme von Jugendkriminalität wahrgenommen wird.

Dr. Annemarie Schmoll vom Deutschen Jugendinstitut in München gab im zweiten Impulsvortrag einen ausführlichen Überblick über die vielfältigen möglichen Ursachen für Jugendgewalt. Ausgehend von der „Jugend als ambivalente, in sich widersprüchliche, riskante Lebensphase“ ist Delinquenz im Kindes- und Jugendalter durchaus verbreitet, jedoch eher „episodenhaft, überwiegend vergänglich, spontan und situativ, nicht geplant und häufiger in Gruppenkontexte eingebunden“. Dies belegen entsprechend die abnehmenden Fallzahlen in der Gruppe der 18- bis 21jährigen. „Nur bei einer kleinen Gruppe ist Delinquenz im Kindes- und Jugendalter intensiv (3 oder mehr Taten).“ Dies betrifft vorrangig „mehrfachbelastete und mehrfachauffällige junge Menschen, die sich häufig in komplexen Problemlagen befinden.“

Nach der Mittagspause begaben sich die Teilnehmenden in parallel stattfindende fachspezifische Talkrunden, in denen praxiserfahrene Fachkräfte aus den Bereichen Justiz, Schule und Polizei einen kurzen Einblick in ihre Arbeit gaben sowie gemeinsam Herausforderungen, Grenzen und Best-Practice-Erfahrungen geteilt und diskutiert wurden.

Im Praxisfeld Justiz kritisierten beispielsweise die Teilnehmenden die fehlenden Hilfsangebote für Opfer von Straftaten im Gegensatz zu den vielfältigen Angeboten für Täter*innen.

Im Kontext Schule sahen sich die (Sozial)Pädagog*innen mit multiplen Problemlagen bei den Schüler*innen konfrontiert, die die Kernaufgabe der Wissensvermittlung in den Hintergrund treten lässt sowie wenig Raum für nachhaltige Präventionsangebote schafft.

Und im Arbeitsbereich der Polizei wurde der Wunsch nach pädagogischen Schulungen für Polizeibeamte formuliert, die mit jugendlichen Straftäter*innen zu tun haben.

In der abschließenden Podiumsdiskussion kamen die Impulsgebenden und die praxiserfahrenen Fachexpert*innen der Talkrunden zu dem Fazit, dass sie sich der Herausforderung veränderter Gegebenheiten stellen möchten und das gute Netzwerkarbeit in diesem Zusammenhang sehr wichtig ist.

Das forcierte Fachaustausch- und Vernetzungsformat des Fachtages, welches die Begegnung unterschiedlicher Professionen ermöglichte, beschrieben die Teilnehmenden im Nachgang als äußerst gewinnbringend für ihre tägliche Arbeit.