Expertise zu Dark Patterns auf sozialen Netzwerken – erschweren Plattformen selbstbestimmtes Medienhandeln?

Internet, Whatsapp, SmartphoneSoziale Netzwerke sind in der Lebenswelt von Heranwachsenden fest verankert. TikTok, Instagram und Co. bieten den jungen Nutzer*innen vielfältige Möglichkeiten zur Kommunikation, zur Selbstdarstellung, zur Informationssuche und selbstverständlich auch zur puren Unterhaltung.
Diese besondere Anziehungskraft auf Minderjährige ist auch den Plattformbetreibern bewusst. Sogenannte Dark Patterns (dt.: heimliche Designs) verleiten User*innen dazu, noch länger auf den Plattformen zu verweilen. Die Bedeutung und Auswirkung von Dark Patterns speziell auf Kinder und Jugendliche untersuchten Kammerl et al. in ihrer Expertise „Dark Patterns und Digital Nudging in Social Media – wie erschweren Plattformen ein selbstbestimmtes Medienhandeln?“.
Die zentralen Erkenntnisse und Ergebnisse der Expertise werden in diesem Artikel zusammengefasst.

Was sind Dark Patterns?

Als Dark Patterns werden bestimmte Gestaltungsmuster von Webseiten oder Online-Plattformen beschrieben, die menschliche Schwächen für die Zwecke der Betreiber nutzen. Wer macht sich zum Beispiel bei jedem Webseitenbesuch die Mühe, individuell Cookie-Einstellungen anzupassen, anstatt schnell auf das groß geschriebene, mit Signalfarben hervorgehobene „Alle bestätigen“ zu klicken?
Da der Begriff heutzutage sehr weitreichend genutzt wird, verstehen viele unter Dark Patterns auch jene Gestaltungsstrategien der Plattformbetreiber, die Nutzer*innen dazu veranlassen sollen, Entscheidungen im Sinne der Betreiber zu treffen. Für Minderjährige kann dies beispielsweise bedeuten, dass sie häufiger und länger soziale Netzwerke nutzen, als sie eigentlich geplant hatten. Das wiederum spielt bei der Frage nach den Ursachen von problematischem bzw. exzessivem Medienkonsum eine wichtige Rolle.

Was weiß die Forschung bisher?

Für einen Überblick über den bisherigen Forschungsstand begutachteten Prof. Dr. Rudolf Kammerl und seine Kolleg*innen im Rahmen einer Literaturrecherche zuerst diverse Analysen von Forscher*innen, die sich bereits mit den Zusammenhängen zwischen der Nutzung sozialer Netzwerke und dem psychischen Wohlbefinden bzw. einer problematischen Social-Media-Nutzung beschäftigt haben.
So erwies sich eine verstärkte Nutzung sozialer Medien in den Analysen von Bozzola et al. (2022) tendenziell als Risikofaktor für die psychische Gesundheit und damit auch für Depressionen, Angstzustände und Sucht. Außerdem haben Kinder und Jugendliche, die soziale Netzwerke über viele Stunden am Tag hinweg nutzen, ein höheres Risiko für Verhaltensprobleme, Cybermobbing, Cybergrooming, Schlafstörungen, Augenprobleme und Kopfschmerzen.
Auch spielt die Familie bei der Entwicklung exzessiver Mediennutzung im Jugendalter eine signifikante Rolle. Nach Wartberg et al. (2015) können eine gute Kommunikation zwischen Eltern und Kind, eine positive Eltern-Kind-Beziehung sowie eine unterstützende elterliche Begleitung der kindlichen Mediennutzung Schutzfaktoren für die Ausprägung einer problematischen Internetnutzung sein. Mehrere Analysen aus dem Jahre 2020 weisen darauf hin, dass eine problematische Nutzung sozialer Netzwerke von Kindern und Jugendlichen mit einer allgemein schlechteren Funktionalität der Familie zusammenhängt.
Die Befundlage zeigt demnach, dass Eltern durchaus große Relevanz in Bezug auf die Entwicklung einer problematischen Social-Media-Nutzung haben können, daneben sind aber auch Umweltfaktoren, Persönlichkeitsaspekte des Heranwachsenden sowie Merkmale sozialer Medien, zum Beispiel Dark Patterns, von Bedeutung.

Welche Dark Patterns werden von sozialen Netzwerken genutzt?

Auf Grundlage bereits vorhandener Forschungsliteratur trugen die Verfasser*innen der Expertise drei Hauptdesigns zusammen, die auf ein längeres Verbleiben auf den Plattformen abzielen und demnach für die Entwicklung einer problematischen Mediennutzung maßgebend sein können.
Durch den sogenannten Friend Spam (dt.: Freunde-Spam) erhalten Freunde bzw. Kontakte des Nutzenden einer Social-Media-App unaufgefordert Einladungen, derselben Plattform beizutreten. Dies geschieht ohne das Wissen des bereits Nutzenden. Junge Menschen werden damit fremdanimiert, sich auf einem bestimmten sozialen Netzwerk anzumelden, um auch „dazuzugehören“.
Mit Fake Notifications (dt.: gefälschte Nachrichten) zielen soziale Netzwerke darauf ab, Anwender*innen auf eine vormals genutzte Plattform zurück zu holen. Dafür werden den User*innen auf ihren Smartphones Benachrichtigungen der jeweiligen App angezeigt, die auf neue Mitteilungen hinweisen. Um diese Mitteilungen öffnen zu können, müssen die Nutzer*innen die Plattform aufrufen, was wiederum zu ursprünglich ungewolltem Konsum führen kann.
Der Mechanismus des Infitity Scrolls (dt.: unendliches Scrollen) ist insbesondere durch das soziale Netzwerk TikTok bekannt. Den User*innen werden permanent neue Inhalte angezeigt, sodass diese bis in die Unendlichkeit durch die Videos scrollen können. Vorsätze wie „nur noch ein Video, dann schließe ich die App“ in die Tat umzusetzen, kann besonders für Minderjährige durch dieses Design erschwert werden.
Auch YouTube nutzt Merkmale des Infinity Scrolls mit dem Tool des Autoplays. Ohne dessen Deaktivierung wird nach der Beendigung eines Videos automatisch ein nächstes Video abgespielt, welches durch Algorithmen zusätzlich auf die Sehgewohnheiten des Nutzenden abgestimmt ist und das Interesse, weiterhin auf der Plattform zu verbleiben, verstärken kann.

Wie nehmen Jugendliche Dark Patterns wahr?

Um die Erkenntnisse aus der vorhandenen Forschungsliteratur zu erweitern, führte das Forschungsteam der Expertise mit elf Jugendlichen leitfadengestützte Interviews zum Thema Social-Media-Nutzung und Dark Patterns durch.
Die Jugendlichen gaben an, mehr Zeit als geplant auf sozialen Netzwerken zu verbringen, um zu erfahren, wie es weitergeht. Außerdem war der Zugang zu immer wieder neuen Inhalten sowie ein Verlust des Zeitempfindens ausschlaggebend für eine verlängerte Social-Media-Nutzung.
Auf spezielle Mechanismen der Plattformen, die zu vermehrter Nutzung führen können, kamen die Jugendlichen erst auf Nachfrage der Interviewer*innen. Sie sahen die Verantwortung im Umgang mit Dark Patterns eher bei sich selbst als bei den Plattformbetreibern. Viele der Befragten vermuteten zudem, dass andere für solche Mechanismen anfälliger seien als sie selbst.
Für die Jugendlichen ist die Deinstallation der betreffenden App die wichtigste Strategie, um einer vermehrten Nutzung vorzubeugen. Auch die Abgabe des Smartphones vor dem Schlafengehen wurde als bedeutende Strategie benannt, obwohl es sich hierbei streng genommen nicht um eine Strategie der Jugendlichen selbst, sondern um eine von den Eltern initiierte Vorgehensweise handelt. Dies verdeutlicht erneut das Einflusspotential von Eltern auf die Mediennutzung ihrer Kinder.

Welche Handlungsempfehlungen gibt das Forschungsteam?

Aus den Erkenntnissen der Literatur und ihrer eigenen Forschung leiteten die Autor*innen der Expertise diverse Handlungsempfehlungen ab.
Da die Hauptverantwortung für Dark Patterns bei den Anbieter*innen liegt, müssen sich Appelle zur Nutzung ethischer Designs anstelle von manipulativen Mechanismen vorrangig auch an diese richten. Unternehmen müssen rechtskonform arbeiten und aus ethischer Perspektive selbstverständlich Angebote so gestalten, dass die Nutzer*innen keine negativen Konsequenzen für das eigene Wohlbefinden zu befürchten haben. Gerade vulnerablen Gruppen wie Kindern und Jugendlichen sollte ohnehin ein besonderer Schutz auf den Online-Plattformen zugute kommen. Dies kann einerseits in Form von technischen Schutzmaßnahmen umgesetzt werden, die Dark Patterns einschränken, andererseits ist eine Förderung der Medienkompetenz der Heranwachsenden wie auch der zuständigen Fachkräfte unabdingbar. Kinder und Jugendliche müssen in diesem Rahmen zu Dark Patterns im Internet aufgeklärt werden, damit sie diese besser erkennen und nachfolgend konstruktiver damit umgehen können.
Wie in der Forschung erkenntlich wurde, spielen Eltern bei der Entwicklung von Medienkompetenz ihrer Kinder eine bedeutsame Rolle. Mit gut kommunizierten und gemeinsam ausgehandelten Regeln, zum Beispiel mit Hilfe eines Mediennutzungsvertrags, sowie einer unterstützenden Begleitung des kindlichen Medienhandelns können Eltern einen Grundstein für einen unproblematischen Medienkonsum legen. Aus der Sekundäranalyse von Prof. Dr. Kammerl und Prof. Dr. Wartberg ergibt sich außerdem, dass insbesondere vorbelastete Jugendliche, beispielsweise jene mit ADHS-Diagnose, einer etwas stärkeren elterlichen Begleitung und Einschränkung der Mediennutzung bedürfen.

Auch jugendschutz.net hat sich mit der Jugendschutzproblematik des Dark Patterns beschäftigt und Spiele-Apps exemplarisch untersucht: Report Dark Patterns.