Mit Kindern und Jugendlichen über Terror und Gewalt reden

Eine Information für Familien und Fachkräfte

Der Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt im Dezember 2024 schockiert nicht nur Erwachsene. Auch Jugendliche und Kinder kommen über offizielle Medienberichte, Beiträge in sozialen Netzwerken und Gespräche unter Gleichaltrigen oder Verwandten mit dem Attentat in Kontakt. Insbesondere die räumliche Nähe zum Anschlag kann für Fachkräfte, Eltern und Heranwachsende aus Sachsen-Anhalt eine neue Qualität an Aufarbeitung erfordern. Auch die aktuelle mediale Berichterstattung über weitere Gewalttaten in Deutschland führt häufig zu steigender Verunsicherung und Ratlosigkeit. Diese Handreichung soll pädagogischen Fachkräften und Eltern einen Einstieg in die Kommunikation ermöglichen.

Pädagogische Haltung: Was machen diese Ereignisse mit mir?

Damit Fachkräfte und Eltern mit Heranwachsenden über Terror, Anschläge und andere Gewalttaten reden und Hilfestellung geben können, ist es besonders bei mittelbarer Betroffenheit ratsam, zuvor die eigenen Gedanken und Gefühle zu ergründen. Das Miterleben oder Mitansehen terroristischer oder extremistischer Taten kann zunächst starke Emotionen wie Angst, Traurigkeit oder Hilflosigkeit hervorrufen. Solche Reaktionen sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich und können von einigen Tagen bis zu mehreren Wochen hinweg andauern. Bei der Bewältigung dieser Gefühle kann die Unterstützung innerhalb der Familie, der Kollegschaft oder Befreundeter helfen. Darüber hinaus können sich Betroffene aber auch an verschiedene Anlaufstellen wenden.

Telefonseelsorge: 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222
Nummer gegen Kummer: 116 111
Elterntelefon: 0800 111 0550

Liste von Unterstützungsangeboten:
www.ms.sachsen-anhalt.de/themen/gesundheit/gesundheitswesen/medizinische-versorgung/trauma-ambulanzen

Berichte über weitere Gewalttaten können gerade in einer solch sensiblen Situation Gefühle der Verunsicherung oder Bedrohung verstärken. Hilfreich ist, sich seiner eigenen Sorgen und Ängste bewusst zu sein, Verständnis für die Reaktionen von Heranwachsenden aufzubringen und ehrlich und sensibel über das Thema zu sprechen.

Gesprächsbereitschaft zeigen

Pädagog*innen und Eltern können Heranwachsenden mit offenen Gesprächsangeboten zur Seite stehen. Dabei sollte Druck vermieden und der Fokus darauf gelegt werden, sich für solche Gespräche ausreichend Zeit zu nehmen. Ist dies akut nicht möglich, weil das Kind beispielsweise morgens vor der Schule oder in einer Pause auf Erwachsene zukommt, kann ein Gespräch auf einen baldigen späteren Zeitpunkt verschoben werden. Dieser sollte dann ausreichend vereinbart und verbindlich sein. Viel Zeit für Gespräche findet sich in Familien zudem auch in alltäglichen Ritualen wie dem gemeinsamen Abendessen.

Emotionen Heranwachsender ernst nehmen, ehrlich sein

Gespräche mit Heranwachsenden über Gewalttaten können helfen, die damit verbundenen Emotionen und Reaktionen zu bewältigen. Dabei muss und kann häufig nicht das Ziel sein, alle Fragen und Bedenken der Kinder und Jugendlichen restlos auszuräumen. Viel wichtiger ist, dass die Heranwachsenden Verständnis, Zuneigung und Zusammenhalt erleben und sich im Austausch mit Erwachsenen die eigenen Sorgen und Ängste „von der Seele reden“ können. Pädagog*innen und Eltern sollten ehrlich bleiben und die eigene Betroffenheit zum Ausdruck bringen. Bei Gesprächen muss dabei das Alter und der Entwicklungsstand der Kinder berücksichtigt werden. Mit Jüngeren muss behutsamer umgegangen werden, während ältere Jugendliche mit realitätsnäheren Informationen umgehen können.

Sicherheitsgefühl vermitteln und sachlich informieren

Das Miterleben, Beobachten oder indirekte Ansehen einer extremen Gewalttat, noch dazu mit räumlicher Nähe, kann das eigene Erleben von Sicherheit zutiefst erschüttern. Umso bedeutsamer ist es, gerade Kindern und Jugendlichen ein Sicherheitsgefühl zu vermitteln. Dies kann geschehen, indem zum Beispiel das Handeln von Sicherheitsbehörden wie der Polizei oder der Justiz deutlich gemacht wird. Im Falle von Magdeburg kann erklärt werden, dass der Täter gefasst wurde und keinen weiteren Schaden anrichten kann. Wenn Kinder fragen, ob weitere Terror- oder Gewaltakte in Deutschland möglich sind, sollte jedoch wahrheitsgemäß geantwortet werden: Derartige Bedrohungslagen sind niemals gänzlich ausgeschlossen, aber statistisch sehr selten.
Zudem ist es ratsam, sich gemeinsam über die Ereignisse weitestgehend sachlich zu informieren und Heranwachsende mit den Medienberichten nicht allein zu lassen. Für Jüngere sind Kindersuchmaschinen geeignet, um zum Thema zu recherchieren.

www.fragfinn.de

Abzuraten ist hierbei aber von einem unbegrenzten Konsum besorgniserregender Berichte. Alle Menschen, ob jung oder alt, brauchen Pausen von schlechten Nachrichten, um sich positiven Aspekten und freudvollen Tätigkeiten zuzuwenden. Auch sollte die Recherche nicht zur Bagatellisierung der Taten genutzt werden.

Über medial Erlebtes reden

Kinder und Jugendliche erfahren über Terror und Gewalt nicht nur durch redaktionell aufbereitete Inhalte oder altersgemäße Formate.

Altersgemäße Informationen für Kinder und Jugendliche:
www.klexikon.zum.de/wiki/Terror
www.hanisauland.de/wissen/lexikon/grosses-lexikon/a/attentat.html

Kindernachrichten zum Attentat in Solingen und dem Umgang mit Angst:
https://kinder.wdr.de/radio/diemaus/audio/maus-zoom/audio-was-tun-wenn-nachrichten-angst-machen-100.html
https://kinder.wdr.de/tv/neuneinhalb/sendungen/politik-und-weltgeschehen/kompakt-wenn-nachrichten-angst-machen100.html

Video von MrWissen2go zum Anschlag in Magdeburg:
www.youtube.com/watch?v=qJSuPeuvr78

Gerade bei Informationen in sozialen Netzwerken greifen die Regularien des Jugendschutzes häufig nicht. Dies kann dazu führen, dass Heranwachsende auf TikTok, Instagram und Co. auf emotional gefärbte persönliche Berichterstattung, auf Desinformationen oder auf explizite, verstörende Darstellungen von Gewalthandlungen stoßen. Pädagog*innen und Eltern sollten sich mit Heranwachsenden deshalb auch über ihre Mediennutzung austauschen. Wichtig sind Hinweise, dass im Internet ungeprüfte Informationen kursieren und dass Algorithmen in Social Media vermehrt zu Konfrontationen mit verunsichernden, ängstigenden oder gewaltverherrlichenden Inhalten führen können. Beim gemeinsamen Einordnen von Falschmeldungen helfen Webseiten wie Mimikama.

www.mimikama.org

Aktivität ermöglichen

Um über verstörende Ereignisse hinwegzukommen, ist es wichtig, wieder aktiv zu werden und positiv in die Zukunft zu blicken. Solidarische Handlungen wie das Anzünden einer Kerze für die Opfer sowie gegenseitiges Trostspenden und Mutmachen stärken Selbstwirksamkeit und Gemeinschaftsgefühl und führen aus Hilflosigkeit und Ohnmacht in den Alltag zurück.

Auch die Ermutigung, den Gefühlen in kreativen Tätigkeiten wie dem Malen oder Schreiben Raum zu geben, fördern Verarbeiten und konstruktives Bewältigen.

Professionelle Hilfe in Anspruch nehmen

Aus den beschriebenen Reaktionen und Gefühlen können bei Kindern und Jugendlichen möglicherweise Konzentrationsschwierigkeiten, Albträume, Ängstlichkeit oder Gereiztheit folgen. In den meisten Fällen klingen diese nach kurzer Zeit wieder ab. Sollten Sie noch immer solche Reaktionen bei den Kindern beobachten, kann professionelle Unterstützung bei der Bewältigung des Erlebten notwendig sein. Hier sind Kinderärzt*innen oder Kinder- und Jugendpsychotherapeut*innen mögliche Ansprechpersonen sowie eingangs benannte Unterstützungsangebote.

Sich selbst fit machen

Pädagog*innen und Eltern sollten sich selbst zu Medienfragen informieren, fortbilden und im Zweifel Rat und Unterstützung bei Expert*innen suchen. Projekte für Heranwachsende sowie Informationen und Fortbildungen für Fachkräfte finden Sie unter

www.servicestelle-jugendschutz.de

Stand: 05.02.2025 | Autor*innen: Anna-Lisa Nikoleizig, Stephan Matecki, Wanja Mitsch | V.i.S.d.P.: Olaf Schütte

 

Handreichung als PDF zum Download